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ODS: One Democratic State: Ein demokratischer Staat

Mehr als 300 Menschen nahmen an der zweiten Palästina-Solidaritätskonferenz 2013 in Stuttgart teil

Programm Deutsch
Programme in English
Programm auf Arabisch

Infos zu den Referenten Deutsch
Info about the speakers English

Mehr als 300 TeilnehmerInnen, viele aus dem Ausland, sind vom 10. bis 12. Mai 2013 zur zweiten Palästinakonferenz in Stuttgart zusammengekommen, um die Meinungen und Analysen hochkarätiger Referenten zu hören und mit ihnen zu debattieren. Hier stellen wir Links zu den Videos und nach und nach Dokumente der Reden zur Verfügung.

Die Veranstaltung wurde an jedem Tag live vom Fernsehsender Al-Jazeera übertragen

Grußwort von Evelyn Hecht-Galinski Schirmherrin der Konferenz

Grußwort von Prof Richard Falk
(Prof. emeritus für internationales Recht, Princeton Universität, Menschenrechtsbeauftragter der UN, USA)
BDS und die Perspektiven für einen Gemeinsamen Demokratischen Staat in Palästina

Free Haifa: The Stuttgart ODS Conference Concludes with Great Hopes

Weitere Videos der Konferenz auf Public Solidarity

Videos unserer Film- und Mediengruppe

Haneen Naahmnih: Vortrag und Präsentation

Shir Hever berichtet über die Konferenz (Video–Englisch)
Seinen neuen Artikel über die politischen Auswirkungen des europäischen Waffenhandels mit Israel finden Sie hier.

Die Reden der Hauptredner werden als Textdateien hier zur Verfügung gestellt.

Danke an Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann von arbeiterfotografie für eine ausführliche Foto-Dokumentation!

Rechts: Verena Rajab, (Palästinakomitee Stuttgart) begrüßt unsere Gäste und stellt sie vor

ods_konferenz_stuttgart2013

Ian Portman (Palästinakomitee Stuttgart) hält eine kurze Einführungsrede

Evelyn Hecht-Galinski (Palästinakomitee Stuttgart) Schirmherrin der Konferenz bei der Eröffungsrede
Von links nach rechts sitzend: Salah Abdel Shafi (Botschafter Palästinas in Deutschland), Joseph Massad,
Ian Portman (Moderator), Ilan Pappé

Ilan Pappé (Universität Exeter, UK) bei seinem Vortrag

Viele Beiträge waren mitreißend und bahnbrechend, andere sehr fakten- und aufschlussreich. Prof Joseph Massad (Columbia Universität, USA) stellte den rassistischen Ursprung zionistisches Denkens bloß, Prof Ilan Pappé (Exeter Universität, UK) mahnte, dass die Anerkennung eines palästinensischen Pseudostaats (kleine Bantustans im Westjordanland) auch zur Verweigerung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge führen würde und zur Verlängerung des Apartheid-Systems in Israel.

Von links nach rechts: Rania Madi (BADIL), Yoav Bar (Haifa Konferenz für ODS), Ivesa Lübben (Moderatorin), Haneenn Naamnih

Von links nach rechts: Shir Hever, Attia Rajab (Palästinakomitee Stuttgart), Hermann Dierkes (Die Linke)

Shir Hever, aus Israel lieferte eine detaillierte Analyse der Praxis israelischer Offiziere, nach Ausscheiden aus dem Dienst Rüstungsfirmen zu gründen, ihre Waffen von ihren noch im Dienst stehenden Freunden ausprobieren zu lassen und weltweit als „von der israelischen Armee erprobt“ zu verkaufen.

Samstag Abend: Samir Mansour (links mit Oud) und der Deutsch-Arabische Hiwarchor

Schlussrunde am Sonntag Mittag, von links nach rechts: Mhammed Krichen (Journalist und Moderator der Schlussrunde), Salah Salah, Hermann Dierkes (die Linke), Ilan Pappé, Haneenn Naamnih (Rechtsanwältin, Schriftstellerin), Ghada Karmi (Ärztin, Autorin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Exeter UK), Evelyn Hecht-Galinski, Jaber Wishah (Palestinian Centre for Human Rights in Gaza), Joseph Massad (Prof. Columbia Universität, NY, USA), Asaad Abu Khalil (Prof. für Politikwissenschaft, USA), Shir Hever (Ökonom des Alternative Information Center; Doktorand an der FU Berlin), Yoav Bar (Initiator der Haifa Konferenz für One Democratic State)

Die Veranstaltung wurde an jedem Tag live vom Fernsehsender Al-Jazeera übertragen und hat so ein breites Publikum in der arabischen Welt erreicht. Der sehr lebhafte Austausch zwischen manchen Rednern war ein Abglanz des lebendigen demokratischen Prozesses der sich in der Region abspielt.

KenFM im Gespräch mit Evelyn Hecht-Galinski (während der 2. Palästina-Solidaritätskonferenz in Stuttgart)



Politische Auswirkungen des europäischen Waffenhandels mit Israel

von Shir Hever

Shir Hever
Für uns als Aktivisten ist es kein Leichtes, Einfluss auf den Waffenhandel zu nehmen. Die BDS-Bewegung fordert uns auf, israelische Waren zu boykottieren. Das führt aber dazu, dass wir uns auf Konsumgüter konzentrieren. Nur wenige von uns werden sich in einer Position befinden, in der sie abzuwägen haben, ob man in Israel hergestellte Waffen kauft oder nicht.

Die Bedeutung von Israels Waffenexporten für die israelische Wirtschaft ist immens, und wir sollten diesen sehr wichtigen Aspekt des Kampfes gegen israelische Gewalt, Besatzung und Repression nicht vernachlässigen. Zudem muss betont werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Waffenhandel besser als andere Arten des Handels demonstriert, warum der Kampf für ein freies Palästina ein globaler Kampf ist. In diesem Sinn stellt der Protest gegen die israelische Waffen- und Sicherheitsindustrie eines der Kernelemente im Kampf gegen Israels Kolonialismus, Besatzung und Apartheid dar.

Als Gegenargument könnte man in einer sehr zynischen Weise sagen, dass die Palästinenser ja eine relative kleine Gruppe sind, (über die Welt verteilt leben rund 11 Millionen Palästinenser, damit sicher keines der anzahlmäßig größten Völker weltweit) und dass sie von daher ein solche globale Kampagne im Kampf um ihre Rechte gar nicht verdienen. Was ist dann also der Grund dafür, dass wir zu anderen globalen Ungerechtigkeitsthemen kein solches Medieninteresse, keine solchen Bemühungen von Geberländern und internationalen NGOs und keine so weit verbreiteten Solidaritätsbewegungen erleben?

Und tatsächlich wird genau dieses Argument von pro-israelischen Gruppen und seitens des israelischen Außenministeriums oft benutzt. Israelische Hasbara-Vertreter unterstellen, dass der Grund für unseren Hang zu Freiheit und Gerechtigkeit in Palästina, nicht unserer Liebe zu den Palästinensern sondern vielmehr unserem Hass auf Israel entspringe. Im Jahr 2012 ging das israelische Außenministerium sogar so weit, Briefe an pro-palästinensische Aktivisten zu versenden, in denen diese aufgefordert wurden, doch nach Syrien zu reisen und stattdessen dort die Menschenrechte zu verteidigen. Zwar liegt der Sinn dieses Argumentes darin, die Diskussion von Israels Verbrechen abzulenken, aber wir sollten trotzdem bereit sein, darauf eine Antwort zu geben.

Unsere Antwort sollte sein, dass Israels Exporte einerseits das israelische Militär befördern und zur Finanzierung der Besatzung und des Repressionsapparates in Palästina beitragen, während sie sich andererseits auch auf jene Länder auswirken, die israelische Güter importieren. Zudem sollten wir ehrlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit in Palästina, auch ein Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit in Europa und auf der ganzen Welt ist.

Jedenfalls ist Israel nicht der größte Waffenexporteur auf der Welt. Obwohl Waffenexporte die Gewalt fördern, sollten wir erklären, inwiefern sich Israels Waffenexporte von denen anderer Länder unterscheiden. Im Waffenhandel der letzten fünfzehn Jahre rangiert Israel zwischen Platz 5 und Platz 10. Es führt weniger Waffen aus als die USA, Russland, Großbritannien und Deutschland. Gegen die Waffenexporte dieser Länder sind schon weltweite Kampagnen im Gang, und diese Kampagnen sind extrem wichtig. Aber warum sollten wir der Rolle Israels im Waffenhandel besondere Aufmerksamkeit schenken?

Der Grund dafür ist, dass Israels Militär- und Sicherheitsexporte sich qualitativ von denen anderer Länder unterscheiden. Wenn wir die Art der Militär- und Sicherheitsprodukte analysieren, die in Israel hergestellt werden, so stellen wir fest, dass diese Technologien nicht dazu bestimmt sind, die Zahl der Opfer aufseiten des Feindes zu maximieren oder dessen Befestigungen zu überwinden. Diese Technologien sind vielmehr darauf ausgelegt, Zivilisten zu kontrollieren, in ihre Privatsphäre einzudringen und unbewaffnete oder nur leicht bewaffnete Personen zu inhaftieren, sie in Schranken zu halten und zum Schweigen zu bringen. Das hat auch der Krieg zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008 demonstriert, als eine mit israelischem Gerät hochgerüstete Armee (in diesem Fall die georgische Armee) von einer größeren und stärkeren Streitkraft niedergeschlagen wurde. Die von Israel entwickelten und hergestellten Gerätschaften waren nie für den Einsatz gegen eine organisierte Armee gedacht. Sie sollen den Starken helfen, den Widerstand der Schwachen zu unterdrücken.

Dieser Aspekt israelischer Waffenexporte ist nicht neu. Das folgende Zitat von 1982 aus Israel Shahak’s Buch Israel’s Global Role: Weapons for Repression (Israels globale Rolle: Waffen zur Repression) war vor dreißig Jahren genauso passend wie heute: „...von Rhodesien über das Südafrika der Apartheid bis hin zu den Golf-Monarchien, Israel verknüpft seine Interessen nicht mit den Massen, die für die Freiheit kämpfen, sondern mit deren Kerkermeistern“.

Dabei sollten wir uns vor Augen halten, dass Israel seit dem Jahr 1973, also seit vierzig Jahren, keinen konventionellen Krieg mehr geführt hat. Seine Militär- und Polizeikräfte sind jedoch mit einem steten Kampf zur Unterdrückung des Widerstands befasst. An Offiziere mit dem Rang eines Oberst oder höher, die den Militärdienst verlassen, vergibt das israelische Verteidigungs-ministerium nahezu automatisch eine Lizenz zum Waffenhandel. Weil das Ruhestandsalter in den israelischen Streitkräften so niedrig liegt, sind zahlreiche Offiziere danach auf der Suche nach einer zweiten beruflichen Laufbahn. Ihre Erfahrung aus den rund zwanzig Dienstjahren beim israelischen Militär führt sie direkt in die Sicherheitsindustrie. Wenn sie ein Produkt entwickeln und der israelischen Armee ein erstes Muster verkaufen (was ihnen nicht schwer fällt, weil sie oft noch Freunde beim Militär haben), dann können sie lauthals behaupten, dass dieses Gerät schon bei der israelischen Armee zum Einsatz gekommen ist. Diese Argumentation hilft, potentielle Käufer vom Kauf des Produktes zu überzeugen, da dieses ja bereits durch die israelische Armee getestet wurde. Und diese Vorgehensweise brachte auch Naomi Klein im Jahr 2007 dahin zu schreiben, dass Israel die Besatzung in ein Testlabor verwandelt hat. So tragen die palästinensischen Opfer der israelischen Armee zu den Profiten der Waffenkonzerne bei. An den Gewinnen, die diese Firmen dank den Palästinensern machen, haben sie allerdings keinen Anteil.

Im Jahr 2000 war Israel nur der zehntgrößte Waffenexporteur auf der Welt (was immer noch ein sehr hoher Platz ist, wenn man die Fläche des Landes Israel betrachtet; alle Länder, die auf dieser Liste darüber lagen, sind weit größer und bevölkerungsreicher). Allerdings war Israel im gleichen Zeitraum auch der viertgrößte Waffenlieferant für Entwicklungsländer, Milizen und paramilitärische Organisationen. Israelische Firmen ignorierten routinemäßig die von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos und erzielten besonders an jenen Orten auf der Welt enorme Gewinne, wo "seriösere" Waffenhändler (falls es so etwas denn überhaupt gibt), vorsichtig darum bemüht waren, Verwicklungen zu vermeiden.

Die Angriffe vom 11. September 2001 kommentierte Netanyahu später damit, dass diese Angriffe „gut für Israel“ seien, weil sie zur Stützung des Argumentes beitragen würden, dass der Islam der Feind sei und dass Israels brutale Methoden gegen den Terrorismus gerechtfertigt seien. Allerdings waren die Angriffe nicht nur gut für Israels Image, sie waren auch gut für Israels Sicherheitsindustrie. Der fortan in den USA so häufig verwendete Begriff "homeland security (Heimatschutz)" kam erst nach diesen Angriffen in Gebrauch. Die Vereinigten Staaten richteten ein Heimatschutzministerium ein, das bis heute über ein Budget in der Größe des gesamten Militärhaushalt Großbritanniens verfügt.

Die wirkliche Hauptstadt des "Heimatschutzes" liegt jedoch in Tel Aviv. In Israel sind mehr als 600 Heimatschutzfirmen registriert, einfache Sicherheitsfirmen und Waffenfirmen, die unter anderem auch Heimatschutzprodukte herstellen, nicht mitgezählt. Tel Aviv ist auch Standort einer jährlichen Waffenhandelsmesse, auf der Hunderte von Firmen die Technologien anbieten, die sie entwickeln: Überwachungskameras, biometrische Verfolgungs- und Erkennungstechno-logien, Systeme zur Verhaltensanalyse, Gerätschaften zur Niederschlagung von Aufständen und zur Auflösung von Demonstrationen, Hand- und Fußfesseln sowie Computerprogramme für die Datengewinnung.

Im Mai 2013 wurde Israel zum weltweit größten Exporteur von unbemannten Luftfahrzeugen (unmanned aerial vehicles / UAVs), so genannter Drohnen, erklärt. Die Drohnen sind ein Symbol dieser neuen Art der Kriegführung. Reiche, entwickelte Länder verabscheuen es, ihre eigenen Bürger als Soldaten Gefahren auszusetzen. Drohnen lassen sich hingegen bequem und ohne Risiko für den Anwender von einem klimatisierten Raum aus steuern und zur Datensammlung, zur photographischen Erfassung von Personen und sogar zur Tötung aus der Luft benutzen.

Heutzutage sind die größten Kunden für Israels Spezialgerät Indien, Brasilien und in geringerem Umfang Südkorea, Ghana, Angola und andere Länder, die von einer sehr starken Ungleichheit geplagt werden. Ungleichheit ist der Schlüssel. Die extreme neoliberale Politik der vergangenen vierzig Jahre hat große Teile der Bevölkerung von der Wirtschaft ausgeschlossen. Menschen, die selbst als Billiglohnkräfte nicht mehr nachgefragt sind, wie beispielsweise die Bewohner in den brasilianischen "Favelas", werden von ihren Regierungen als "Bevölkerungsüberschuss" behandelt. Die wachsende Ungleichheit schafft einen beständigen Bedarf an Kontroll – und Unterdrückungsmechanismen.

Im Jahr 2006 beschrieb Jeff Halper die Verwaltung dieser überschüssigen Menschen durch Inhaftierungen und durch den Rückgriff auf Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen als "Lagerhaltung" (warehousing). Er hob hervor, dass der Gazastreifen das paradigmatische Beispiel für die "Lagerhaltung" einer Zivilbevölkerung ist.

Und tatsächlich sind israelische Technologien, mit denen der Widerstand im Gazastreifen unter Kontrolle gehalten werden kann, zum Kennzeichen der israelischen Waffenexporte geworden. Nach der Invasion des Gazastreifens im Winter 2008/2009 veranstaltete die israelische Armee eine Messe, um neue Technologien vorzuführen, die bei dieser Operation eingesetzt worden waren. So erlangte auch das berühmte "Iron Dome" Raketensystem seine Berühmtheit im Verlauf der israelischen Bombardierung des Gazastreifens im November 2012. Palästinenser benutzen Qassam Raketen, eine Waffe, die bei der Herstellung im Eigenbau rund 100 $ kostet. Doch selbst diese einfache Rakete bringt die Möglichkeit von Israelis in Gefahr, in ihren Cafès zu sitzen und sich zu entspannen, während Palästinenser im Gazastreifen unter unerträglichen Bedingungen leben. Jede Iron Dome Rakete koste 50.000 $, und zwei davon sind nötig, um die Flugbahn einer einzigen Qassam Rakete zu unterbrechen. Damit kosten Iron Dome Raketen das tausend Mal mehr als Qassam Raketen. Für Israel lohnt es sich dennoch, denn was die Israelis damit kaufen ist das Image – dass man in einem Café sitzen kann, während man die Tatsache ignoriert, dass es ein paar Kilometer weiter für anderthalb Millionen Menschen kein trinkbares Wasser gibt.

Für den Verkauf ihrer Gerätschaften nutzen die Israelis genau dieses Image. Das Iron Dome Raketensystem wurde schon drei Monate nach seiner Verwendung bei der Bombardierung des Gazastreifens auf einer Handelsmesse in Indien zum Verkauf angeboten.

Außerdem ist gerade dieses Image der Grund, der die Internationale Gemeinschaft veranlasst, ein solch großes Interesse für die Politik in Palästina aufzubringen. Die immense Unterstützung, die Israel von rechts gerichteten Parteien und Führern geboten wird, beruht darauf, dass letztere die israelischen Vorgehensweisen legitimieren möchten, um sie dann zu kopieren. Rechts gerichtete europäische Regierungschefs bieten Israel Unterstützung an (und haben das Land eingeladen, der OECD [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] beizutreten), nicht weil sie etwa Zionisten wären. Ihre Motivation liegt vielmehr darin, dass wenn Israel als Mitglied der zivilisierten Welt betrachtet werden kann und wenn seine Aktionen damit als akzeptabel gelten, dann würde das bedeuten, dass europäische Länder ebenfalls Asylsuchende ohne Gerichtsverfahren inhaftieren könnten, dass sie diejenigen, die gegen ihre außenpolitischen Vorgehensweisen protestieren, ebenfalls ermorden könnten und dass sie gegen ihre eigenen Bürger ebenfalls Überwachungs- und Kontrollmechanismen zum Einsatz bringen könnten.

Aus diesem Grund liegt es im Interesse aller Bürger diese Welt, lautstark klarzustellen, dass Israels Vorgehensweisen keineswegs legitim und akzeptabel sind. Ansonsten werden wir uns morgen alle in der Rolle wiederfinden, in der sich die Palästinenser heute schon befinden.



„In Israel gilt das Recht nicht für alle Staatsbürger“


Jörg Tiedjen im Gespräch mit Haneen Naamnih für die junge Welt

Haneen Naamnih
Die israelische Palästinenserin Haneen Naamnih ist Juristin und Mitarbeiterin des Internetmagazins www.jadaliyya.com. Sie nahm an der »Zweiten Palästina-Solidaritätskonferenz« teil, die am Sonntag in Stuttgart zu Ende ging.

In der zu Israel gehörenden Negev-Wüste gibt es Konflikte zwischen den dort lebenden Beduinen und den Behörden. Worum geht es zur Zeit?

Der Staat weigert sich, den Landbesitz der Beduinen zu achten, obwohl der schon vom Osmanischen Reich und der britischen Mandatsmacht anerkannt worden war. Zur Zeit werden sie von ihrem Land vertrieben und sollen in sieben, bereits in den 60er Jahren speziell für sie errichtete Städte umgesiedelt werden. Viele von ihnen haben bis heute in sogenannten nichtanerkannten Ortschaften gelebt. Dort gibt es keine öffentliche Versorgung mit Wasser, Bildung oder Gesundheit.

Aber die Beduinen sind doch israelische Staatsbürger. Können sie trotzdem gezwungen werden, ihr Land zu verlassen?

In Israel gilt das Recht nicht für alle Staatsbürger in gleichem Maße. Darüber hinaus wird gerade ein Gesetz vorangetrieben, das auf israelische Palästinenser zugeschnitten ist, eine Art Notstandsgesetz. Auf dessen Basis sollen insbesondere ihre Eigentumstitel einfach annulliert werden können, auch wenn sie offiziell die israelische Staatsbürgerschaft besitzen. Das ist die »Beduinengesetzgebung« nach dem Prawer-Plan.

Was besagt der?

Er wurde erarbeitet, um eine Lösung für das sogenannte Beduinenproblem zu finden. Der Plan sieht vor, daß das fragliche Land binnen fünf Jahren von allen früheren Einwohnern gesäubert wird. Zwar soll es einen Ausgleich in Form von Geld oder neuem Landbesitz geben, aber nur unter der Voraussetzung, daß die Betroffenen auf alle Eigentumsrechte verzichten. Außerdem ermöglicht der Plan, daß Grundeigentum der Beduinen von der Polizei ohne richterlichen Beschluß enteignet, die Häuser zerstört und die Einwohner umgesiedelt werden können.

Wollen denn die Beduinen ihre alten Ortschaften verlassen?

Nein, sie wollen bleiben. …

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